Raimund Ostendorp -Sternekoch in einer Pommesbude
"Eine Pommesbude ist eine persönliche
Geschichte"
von Marc Stefan Andres
Pommes und Popularität
Ein Koch greift nach den Pommes-Sternen
"Ich stehe morgens in der Bude beim Schnitzelschneiden, da ruft
einer an: Können sie bei uns in der Sendung kochen?" Raimund
Ostendorp ist Imbissstuben-Besitzer. Vorher war er Dreisternekoch.
Deswegen wird er - im Gegensatz zu anderen Imbissstuben-Besitzern -
manchmal vom Fernsehen angerufen, um dort Currywurst
zuzubereiten. Heute hat der Mann vom Profi-Grill in
Bochum-Wattenscheid dagegen ein bisschen Zeit, um bei Kaffee und
Torte im benachbarten Cafe Kox über Pommes und
Popularität zu plaudern.
An der Eingangstür der Konditorei Kox bleibt er erst einmal
stehen. Er guckt, ob der Chef irgendwo zu sehen ist. "Wir kennen
uns." Ostendorp bestellt ordentlich Kuchen. Zitronenrolle,
Schwarzwälder Kirsch, Himbeer Sahne. "Früher habe ich in
der Woche 15 Stück Torte gegessen," sagt er. Danach sieht er
aber nicht aus. Er trägt einen schwarzen, engen
Rollkragenpullover, eine blaue Hose, die Haare am Hinterkopf sind
ein wenig verwuselt.
"Ich mache mittags gerne ein Schläfchen." Es gibt Kaffee und
Mineralwasser. Herr Kox taucht nicht auf, Raimund Qstendorp steuert
zielstrebig auf einen Tisch zu. Der Kuchen kommt, und er haut rein.
"Was wollt ihr wissen", fragt er - nicht zum letzten Mal - und
redet drauf los. Wie alles begann, mit der Kocherei, den Sternen
und den Pommes.
Raimund Ostendorp wird 1968 in Ueden/Niederrhein-Kreis geboren.
"Ich komme aus normalen Verhältnissen, mein Vater war
Kraftfahrer, meine Mutter Hausfrau." Der Sohn dagegen hat
Spaß am Kochen. Warum auch immer, so genau weiß er das
nicht mehr. "Schon in der Schule im Haushaltsunterricht habe ich
gern gekocht, es war klar, dass ich Koch werde."
Viele aus seinem Umfeld finden die Idee nicht so gut. Alles
Pragmatiker. "Andere haben mich gewarnt, daß ich dann arbeiten
müsste, wenn andere frei haben." Auch der Lohn sei nicht so
berauschend, mei- nen die Freunde, "ich habe aber nicht auf das
Geld geguckt". Dafür guckt er während der Unterhaltung
aus dem Fenster. Ein Mann geht vorbei. "Kenne ich den?", fragt er.
Anscheinend nicht, denn die Geschichte geht ohne Pause
weiter.
Seine Eltern haben nichts gegen seine Passion, auch wenn sie mit
der hohen Küche keine Verträge haben. "Meine Eltern haben
nie da gegessen, wo ich gekocht habe." Vielleicht liegt es daran,
mutmaßt er, dass sie viele der Speisen nicht kennen und auch
nicht kennenlernen wollen. "Bei uns gibt es immer nur Kartoffeln,
wenn ich da schon mit Reis ankomme...", begründet er, warum er
auch zu Hause im Niederrheinischen nie gekocht hat. Außerdem
fehlt dort das "Zeug", was ein Profikoch zum Arbeiten braucht.
Neben der Schule macht er früh Praktika in Restaurants, wird
ausgenutzt und erledigt die Drecksarbeiten. Dennoch denkt er gerne
zurück. "Ich habe Förderer gehabt, in den Restaurants, wo
ich gearbeitet habe." Mit 16 beginnt er in Krefeld in einem
4-Sterne-Hotel seine Ausbildung.
Raimund Ostendorp guckt wieder aus dem Fenster. "Interessiert euch
das?" Er redet nun immer schnel- ler. Die Lehre ist sehr gut. "Ich
konnte französische Küche, Patisserie lernen. Und zwar
richtige französische Küche, nicht große Teller und
kleine Portionen." Zum Haus, dem Parkhotel Krefelder Hof,
gehört auch eine Bierstube. Von 9 bis 15 Uhr und von 18 bis 22
Uhr dauert der Arbeitstag. "Die müssen wollen, und du musst
auch wollen", bekräftigt er - mehr zu sich selbst gesprochen -
seine Erinnerungen. Im nächsten Moment ist er plötzlich
aufmerksamer Gastgeber. Er nimmt mit seiner Gabel einen guten
Bissen Schwarzwälder Kirsch vom Teller und reicht die Gabel
herüber. "Hier, probier mal."
Er erzählt weiter. "Ich habe damals 450 Mark im Monat
bekommen, 200 davon hat ein Zimmer im Hotel gekostet, Essen war
frei." Der Erfolg kommt schnell. Im zweiten und dritten Lehrjahr
wird Ostendorp Stadtmeister, im dritten Lehrjahr gleichzeitig auch
zweiter Landesmeister. "Ich habe mich dann nur bei
Sternehäusern beworben, für die gehobene Küche." Es
folgen die "Wanderjahre", die ein Koch durchma- chen muss. "Meine
erste Gesellenstelle hatte ich bei Chez Alex" in Köln, die
haben einen Michelin- Stern und stehen auf Platz 15 in
Deutschland." Anderthalb Jahre bleibt er dort, als "Chef de Patie"
verlässt er das Haus.
Je weiter seine berufliche Karriere in der Erzählungen Form
annimmt, desto öfter fragt er nach. "Interessiert euch das
wirklich?" Er spricht manchmal fast stakkatohaft, ein wenig
hektisch, dennoch aber bestimmt und durchdacht. Man kann sich gut
vorstellen, wie er Zwiebeln in Millisekunden in hauchdünne
Scheiben schneidet, Soßen mit ruhiger Hand präzise
anrichtet.
Von Köln geht es anschließend nach Hannover, in "Schu's
Restaurant". Die Gesellenzeit ist nicht ein- fach. "Ich habe immer
in möblierten Zimmern gelebt, eine Beziehung anzufangen war
kaum möglich, ich habe immer nur gearbeitet." Dazu kommt die
schlechte Bezahlung. Für 1250 Mark netto arbeitet er im ersten
Lehrjahr. "Und über die Arbeitszeiten muss ich wohl nichts
sagen." Dennoch gibt es gute Gründe, sich in den gehobenen
Garküchen ausbeuten zu lassen. "Ich habe nur fürs Papier
gearbeitet, für die Reputation." Zudem hat Ostendorp "nichts
zu versorgen". Die Schwarzwälder Kirsch ist geschafft. Die
Himbeer Sahne auch.
Die Chefköche regieren
"Schu's Restaurant" stellt für ihn sowieso nur eine
"Warteschleife" dar. Durch seine Kontakte im Rheinischen hat er
schon einen "Arbeitsvertrag mit dem Schiffchen' in Düsseldorf
in der Tasche". Beziehungen sind auch im Kochgeschäft wichtig.
"Da nimmt dich keiner, weil du so nett bist." Richtig nett ist es
dagegen auch im "Schiffchen" nicht, denn dort regieren, wie in
allen Küchen, die alten Chefköche. "Du musst alles
kennen, darfst aber keinen eigenen Stil haben", klingt es
vorwurfsvoll aus Ostendorps Erinnerung. Er muss sich unterordnen,
Spaß ist wenig dabei. Schwierig ist auch die
Unterschiedlichkeit der Köche. "Der eine ist mediterran
veranlagt, der andere Suppenfetischist, der nächste will vor
allem, dass alles gerade auf dem Teller liegt." Abends müssen
die jungen Köche im weißen Kochdress mit Halstuch in die
Öfen krabbeln und in der Hitze den Dreck weg schrubben. "Da
denkst du, du bist im Knast." Er schaut wieder au dem Fenster, ins
regnerische Wattenscheid.
Irgendwann, "das war 1990", sitzt er mit anderen Köchen
zusammen. Er hat nach einem Jahr "Schiffchen" keine Lust mehr. "Wir
haben so ein bisschen geflachst, ich sage, ich mach" 'ne Pommesbude
auf" Den Gedanken an die Selbstständigkeit hatte er sowieso
schon gepflegt, nach einigen Wochen nimmt der Plan Gestalt an. Es
folgt der "kulinarische Absturz in die Kreisliga", lacht er. Nach
einigem Suchen im Ruhrgebiet findet Raimund Ostendorp in
Wattenscheid eine "betriebsfertige Bude" mit Sitzplätzen. "Ich
brauchte ein paar Mark und eine gute Lage, als ich das hatte, habe
ich losgelegt." Der erste Tag läuft schon nicht schlecht,
danach wird es immer besser. Kleine Probleme tauchen auf. "Da
stehst du den ganzen Tag zwischen Hummer und Trüffeln und
weiß gar nicht, wie man 'ne Currysoße macht." In der
gehobenen Küche gibt es auch keine Halbfertigprodukte, keine
Bindemittel, keine Friteuse.
Popularität
Mit der Eröffnung der Bude kommt die Popularität einher.
Eher zufällig zwar, aber nach kurzer Zeit immer öfter.
"Die Fachzeitschrift ,Snack-Bistro" war die erste, die auf mich
aufmerksam geworden ist. Dann kam die Aktuelle Stunde', die
Lokalzeitungen, dann ,Bild', RTL, Pro 7." Ostendorp findet den
damit verbundenen Werbeeffekt zwar ganz gut, sieht aber auch so
manches Problem mit dem Ruhm. "Die Sache mit dem Fernsehen kann
auch negativ sein. Wenn ich in einer Sendung war, muss ich immer
aufpassen. Ich laufe zum Beispiel am nächsten Tag an einem
Kunden aus der Pommesbude auf der Straße vorbei und sehe ihn
nicht. Der denkt dann, dass ich ihn nicht mehr grüße.
Und schon heißt es, der Ostendorp war im Fernsehen, der
denkt, er war' was Besseres, hat's nicht mehr nötig zu
grüßen." Konditorin Kox denkt das anscheinend nicht. Sie
guckt mal kurz. "Herr Ostendorp, das war aufregend im Fernsehen,
nicht?" "Ja, ja, war ganz aufregend." "Ich fand das toll, was sie
da gemacht haben."
Dann kommt der Konditor selbst um die Ecke. "Der ist 60, fast
doppelt so alt wie ich. Trotzdem sind wir gut befreundet", sagt
Ostendorp. Wahrscheinlich liegt das am ähnlichen Job, meint
er. Beide sind gastronomisch tätig und legen ungeheuren Wert
auf Qualität. "Wo kriegt man Schwarzwälder Kirschtorte
mit einem Nougatring im Teig und echtem Kirschwasser", fragt der
ehemalige Gourmet-Koch. Er lobt den vorzüglichen Kuchen von
Kox. Wieder und wieder. Fast wie Brüder im Geiste scheinen sie
zu sein, wenn sie sich über ihre Probleme mit Kundschaft,
Behörden, die wirtschaftliche Lage und den Niedergang der
Qualität unterhalten. Beide stammen zudem vom Niederrhein,
sprechen eine Sprache.
Der Konditor und der Pommesbudenbesitzer verbringen auch ihre
Freizeit manchmal miteinander, fahren an den Rhein, gucken sich
Konditoreien an. Kox, der mittlerweile mit am Tisch sitzt und einen
Kaffee trinkt, wollte immer wieder zurück, ist aber im
Ruhrgebiet hängengeblieben. Er macht das Beste daraus, sagt
er, klagt aber ein wenig über die Geschäfte. "Heute gehen
viel weniger Leute mal ins Cafe, die geben ihr Geld lieber für
den Vergnügungskeller aus." Oder sie essen bei Fastfood-Ketten
wie McDonalds. "Kaufen sich "ne Tüte voll Essen und futtern
das in sich rein", sagt Kox, "das spiegelt den Zeitgeist wider".
Schnell, schnell, schnell.
Die Popularität seines Freundes findet der Konditor prima.
Auch ihm passieren mal lustige Sachen mit Ostendorp. Er berichtet,
dass ein Mann ihn ansprach, nachdem er wieder einmal mit dem Chef
des Profi- Grills in der Konditorei gesessen hatte. "Den kenn ich
aus dem Fernsehen, das ist doch der mit den Pommes. Wie kann man so
bekloppt sein und als Dreisternekoch ´ne Pommesbude
aufmachen? Da kann- ste doch nichts verdienen." Kox wusste eine
einfache Antwort, erzählt er. "Wenn ich soviel Umsatz machen
wollte wie der mit seiner Pommesbude, müsste ich jeden Tag
Sonntag haben." Konditor ist ein aussterbender Beruf, meint der
Meister. Das liege auch am Fitnessbewusstsein. "Bei mir schauen sie
auf die Kalorien, beim Ostendorp hauen sie sich Pommesschnitzel
rein."
Der Tag beginnt
Der plaudert von seinem Tagesablauf. "Das geht früh los."
Morgens um sieben fährt Ostendorp - drei mal die Woche - zum
Metzger, um Fleisch und Würstchen zu kaufen. "Frisch." Ab halb
neun steht er im Grill, scheidet den Schweinerücken zu
Schnitzeln. Für sein eigenes leibliches Wohl bleibt da wenig
Zeit. "Kaffetrinken tue ich morgens nicht, unterwegs hol ich mir
manchmal ein Brötchen." Er isst nicht nach der Uhr. Sagt er.
Seine Kunden auch nicht, denn der Grill, der gegen elf Uhr
öffnet, ist immer voll. Morgens um halb zwölf, gegen drei
und um 21 Uhr. Um zehn Uhr abends ist Schicht. Zwischendurch kommen
Arbeiter, Anwohner und auch schon mal der Vorstand von Krupp. "Die
steigen selbst nicht aus, schicken ihren Chauffeur. Der bestellt
dann 'nen Hähnchen. Ist denen wohl zu doof, in eine Pommesbude
zu gehen."
Nach dem Schnitzelschneiden kocht Ostendorp die Soßen. "30
Liter Currysoße. Mit der Soße, die bei mir am Tag
durchgeht, kommst du im Schiffchen' 'ne Woche hin." In den
Dreisterneküchen geht man schließlich anders mit
Soße um. Ostendorp macht mit der Kuchengabel vor, wie ein
Koch ein Essen ver- feinert: Zarte Seitwärtsbewegungen tragen
die Soße auf, mit einem Holzstäbchen werden Muster
hinein- gewoben. So etwas will er im Profi-Grill natürlich
nicht machen. "Für eine Fernsehsendung bei RTL habe ich eine
Cmrywurst mal so angerichtet, sah ganz nett aus." Die Tunken
für den Grill macht er "aus der Hand, die schmecken nicht
immer gleich". Das merken die Kunden nicht, mögen es aber.
"Zigeuner, Jäger, Rahm" sind nicht wirklich billig in der
Fertigung, kosten indes nur 1,20 Mark. "Wenn ich 'ne Jäger
für zwei Mark anbiete, legen die mich auf die Schienen", kennt
Ostendorp seine Preisgrenzen.
Wenn Soße und Fleisch fertig sind, folgt die Warenkontrolle.
Ostendorp guckt nach, wie viel Pommes im Kühlfach liegen, Reis
und Spaghetti werden ebenfalls kalkuliert. Die Salate werden
gekauft, zum Teil komplett, zum Teil nur als Grundlage für
eine Verfeinerung. Der Kohl für den Krautsalat kommt vom Feld
von Vater Ostendorp, "das stand sogar im Pommesführer
Ruhrgebiet", lacht der Chef. Die Hähnchen für den
nächsten Tag werden gewürzt, damit die Marinade einzieht.
"Sonst verbrennen sie." Zwiebeln werden in der Pfanne vorgebraten,
in der Friteuse werden sie zu kross und verderben das Fett.
Persönliche Geschichte
Ab elf sind dann auch Ostendorps Angestellte da. Früher stand
er selbst immer im Laden - "Ich habe seit 10 Jahren keinen Urlaub
gemacht, höchstens mal zwei, drei Tage, das bin ich aber auch
von Zuhause nicht anders gewohnt". Heute kann er auch mal weg. Zum
Beispiel am Nachmittag in die Konditorei. Was natürlich nur
geht, wenn er gute Mitarbeiter hat. "Man muss mit den Kunden ein
Verhältnis aufbau- en, es gibt nicht viele Mitarbeiter, die
das können", weiß er um die möglichen Probleme
zwischen Gast und Wirt. "Eine Pommesbude ist eine persönliche
Geschichte", sagt Ostendorp, "Irgendwann kennst du von allen die
Lebensgeschichte".
Für seine Gäste hat er immer einen Spruch übrig. Er
fragt nach der Tante, beschwert sich mit ihnen gemeinsam über
das Wetter, preist gerne auch einmal ein Schnitzel an. Das
schönste scheint für die Kunden zu sein, wenn ihnen nach
dem "n'Abend"
ein "Wie immer?" entgegenschallt, beschreibt der Imbissbetreiber.
Das Glück des kleinen Mannes ist perfekt, 'wenn der Gastronom
seine Wünsche kennt - und wenn es nur "Currypommesmayo" ist.
Ostendorp findet das gut. Auch der Stil des Imbisses muss so
bleiben, wie er ist. "Wenn ich die Bude mit Marmor vollhaue, kommt
keiner mehr." Ein Grill muss einfach sein. Für einfache
Menschen, sagt Ostendorp. Kox nickt bestätigend.
Ruhe bewahren
Es gibt aber auch nicht so nette Kunden. "Ein paar Wochen lang kam
jeden Samstag eine Frau, die ein Grillhähnchen bestellte. Ich
nahm es von der Stange, packte es ein und reichte es ihr über
die Theke. Plötzlich fragte die Dame, ist das auch frisch?'.
Ich dachte, die macht Spaß, und sage nichts. Sie fragt noch
mal, und ich merke, die meint das ernst. Ich sage, natürlich,
frisch vom Grill'." Ostendorp schüttelt beim Erzählen mit
dem Kopf, denn die Geschichte ist noch nicht zuende. "Am
nächsten Samstag ist sie wieder da, fragt, ist das auch
frisch?'. Ich antworte: Als ob das ein altes Hähnchen
wär.' Und so geht es weiter. Bis ich ihr nach ein paar Wochen
sage: Passen sie auf, meine Hähnchen sind immer frisch, und
ich möchte sie bitten, nie wieder in meinem Grill nach einem
Hähnchen zu fragen'." Die Frau kam nie zurück.
Ostendorp scheint bei der Erinnerung fast ein wenig entsetzt zu
sein. Zu sehr kennt er die Qualität seiner Ware, legt Wert auf
Frische. Konditor Kox hat eine ähnliche Geschichte erlebt.
Eine Frau kommt in die Konditorei, sieht, dass die tiefstehende
Sonne auf einen Teil der Kühltheke scheint. Die Sonnenstrahlen
berühren nicht den Kuchen, dennoch macht die Frau den Konditor
auf den "Missstand" aufmerksam. "Ich sag', was wollen sie denn, der
Kuchen ist gut gekühlt"`, ruft Kox. Die Frau regt sich auf,
will nichts mehr kaufen. Am nächsten Tag kommt ein Mann vom
Gewerbeaufsichtsamt. Guckt sich alles genau an und rückt erst
spät damit heraus, wer er ist und was er will. "Eine Frau hat
sich beschwert, dass bei ihnen der Bienenstich in der prallen Sonne
steht und sich schon auf der Theke wölbt!", sagt der Beamte.
"Dabei mache ich seit acht Jahren keinen Bienenstich mehr`, lacht
Kox. Ostendorp guckt wie- der einmal aus dem Fenster. "Bei mir
waren sie erst zwei Mal in den letzten zehn Jahren." "Sie" sind die
vom Amt. "Sie sind ein Künstler", entschlüpft es Kox,
und: "Kommen die nicht jedes Jahr zu ihnen?" Ostendorp
schüttelt den Kopf.
Kox erzählt von Kunden, die er ganz besonders gern mag. Die
kommen abends rein, kurz vor Ladenschluss, und beäugen erst
einmal kritisch den Kuchen. "Dann sagen die, damit könnse doch
eh nichts mehr anfangen, morgen ist der schlecht, verkaufen sie mir
die Torte doch für den halben Preis'. Ich sag dann immer,
bevor ich ihnen die Torte zum halben Preis verkaufe, schmeiß
ich sie lieber weg. Kox schenkt seinen Kuchen seinen Angestellten.
Ich hab mehr von meinen Angestellten als vom halben Preis, hat er
zugleich eine weitere Begründung parat.
Ostendorp kennt ähnliche Fälle, auch wenn bis jetzt noch
nie ein Kunde Pommes zum halben Preis woll- te. "Es gibt Leute, die
gucken und gucken und gucken, fragen, wie heute die Schnitzel sind,
lassen sich eine Soße empfehlen, und nehmen am Ende doch
wieder,Currypommesmayo. Garantiert. Solche Kunden nerven die beiden
Gastronomen. Eindeutig, auch wenn sie nun gemeinsam darüber
lachen. Ein anderer Typ Gast ist bei beiden ebenfalls nicht gut
gelitten. "Manche meckern über die Preise, denken, man
würde bei einem Stück Schwarzwälder Kirsch reich",
schmunzelt Kox. So welche kommen jeden Tag, meint Ostendorp, und
"irgendwann sagen sie, den Stuhl habe ich mittlerweile auch
bezahlt".
Auch Gruppendynamik gibt es unter Kunden. Sagt Ostendorp. "Wenn
vier am Tisch sitzen und Schnitzel essen, und einer ist satt, hat
nicht richtig Hunger, keinen Appetit, schlechte Laune, und der
sagt, dass sein Schnitzel nicht schmeckt - dann glauben auch alle
anderen, dass da was dran ist." Am Nachbartisch in der Konditorei
sitzen vier Frauen. Die beschweren sich auch gerade über
irgendwas. Kox kennt das. Er rollt nur mit den Augen. Bei der
Verabschiedung kommt auch noch einmal Frau Kox um die Ecke. "Ich
finde, sie haben das gut gemacht im Fernsehen."
Auf dem Weg zum Prof-Grill, da soll es nun hingehen, sieht
Ostendorp die Konkurrenz. Er weiß natür- lich, dass es
sie gibt. "Die meisten Pommesbuden sind hier in griechischer oder
türkischer Hand, mit denen muss ich die Preise vergleichen."
Die Kunden machen's nämlich auch. Glaubt er. Und selbst seine
Stammkunden sind nicht einfach. "Die erwarten, dass es schmeckt wie
im Restaurant, gleichzeitig aber muss es billiger sein als beim
Griechen." Dann gibt es noch die Kunden, die sich durch Schnitzel
übern Tellerrand verführen lassen. "Bei mir gibt es
Qualität, Qualität, Qualität. Und nicht Menge." Wer
auf gebogene Teller steht, ist beim Profi-Grill nicht richtig
aufgehoben.
Der Profi-Grill
Dort stehen rechts vier Tische, links die Theke, hinter der
Ostendorp und seine Angestellten wirken. Der Chef persönlich
macht ein paar Probierteller fertig, redet mit seinen beiden
Angestellten. Am ersten Tisch sitzt ein dicker Mann mit seiner
Enkelin. Auf dem Tisch liegen zwei Handys und ein Regenschirm.
Beide essen Pommes. An der Wand hängen Bilderrahmen, in denen
Ostendorp mit Standbildern seine Fernsehauftritte bei RTL oder Pro
7 dokumentiert hat.
In einem anderen Rahmen hängt ein Bild von einer anderen
Pommesbude. Davor stehen ein Mann und eine kleine Frau.
Schwarz-weiße Realität. Ein wenig traurig vielleicht.
Einige Häuser weiter hatte Kurt Kotzlowski seinen Grill, der
im selben Jahr schloss, als Ostendorp aufmachte. "Der Kotzlowski
ist ein Original gewesen", kommentiert er, während er
Currywurst, Schnitzel, Pommes, Spezialsoße, Brot und
Krautsalat aufträgt. Und eine tragische Gestalt. Ein halbes
Jahr, nachdem er in Rente gegangen ist, ist er gestorben. Der
Pommesgourmet schneidet ein Stück Schnitzel ab. "Mal
probieren." Dabei weiß er eigentlich, wie das schmeckt. So
wie alles im Profi-Grill. "Pommes mag ich auch immer noch." "Kurts
Frikadellen" und "Kurts Soße" dagegen nicht, die er nach zehn
Jahren immer noch anbietet. "Heute kommen noch Leute mit 'ner
Schüssel und nehmen die Teile mit in den Urlaub in den
Schwarzwald." Während er redet, streicht er das blau melierte
Wachstischtuch glatt. Er nimmt einige Pommes vom Teller. Danach
geht er wieder zur Theke. Es ist voll.
Der Zigarettenautomat hat das selbe Furnierrnuster wie der Kasten,
in dem der Spielautomat hängt. Die Wände sind vom Boden
bis in 120 Zentimeter Höhe getäfelt. Das Holz hat eine
andere Maserung. Das von den Klotüren auch. Eine Tür
sieht aus, als ob sich eine weitere Toilette dahinter verbirgt. In
Klebebuchstaben steht geschirrückgabe" auf dem Holz. Eine
Pommesbude muss einfach sein. Hat Ostendorp schon mehrmals gesagt.
"Die Einrichtung darf ich nicht schicker machen." In der
Kühltheke liegen Plastikmaiskolben- und weintrauben. Zwei
kleine Flaschen Fernet Branca stehen daneben.
In seinem Revier wirkt Ostendorp noch schneller, als er es vorher
schon war. Er geht hinter die Theke, in die Küche, kommt
fünf Mal an den Tisch, "schmeckt's?". Er kümmert sich um
alle Gäste gleich. Das ist auch ein Teil der Qualität.
Deswegen möchte er auch keine Filialen mehr eröffnen. Das
wäre ihm zu ano- nym, zu unpersönlich. Versucht hat er
das. Zwischen 1992 und 1994 gründet er drei Filialen vom
Profi- Grill, in Recklinghausen, Marl und Bochum-Langendreer. Die
laufen nicht so gut, der Chef ist kaum da, der persönliche
Kontakt fehlt. Nicht die erhoffte Qualität. "Ich habe die Ware
in Wattenscheid vorberei- tet, die Filialen beliefert, da brauchst
du dann Leute, die mit den Sachen umgehen können".
Außerdem hat er noch eine andere, einfache Erklärung.
"Ich bin Koch, kein Kaufmann." Wenn der originale Profi- Grill
damals nur halb so gut gelaufen wäre und er sich auf diesen
konzentriert hätte, "stünde ich heute besser da". 1996
sind alle wieder zu. "Keine Experimente mehr", sagt er.
Zukunft
Gleichzeitig aber fließt in die Unterhaltung immer wieder der
"Thüringer" aus Dortmund ein. Eine Pommesbude, die sich mitten
in Dortmunds Innenstadt auf Würstchen und Pommes spezialisiert
hat und einen "Mordsumsatz" macht. So was könnte sich
Ostendorp schon vorstellen. Zurück in die Sterneküchen
will er dagegen nicht mehr. In der Pommesbude ist zwar viel zu tun,
hier ist er aber sein eigener Chef und hat zudem noch Spaß an
der Arbeit. "In den großen Küchen durftest du nicht mal
zu zweit in den Kühlraum gehen. Der Koch wollte nicht, dass du
dich dort unterhältst. Es verging kein Tag ohne Anschiss."
Irgend etwas aber wird noch nach dem Profi-Grill kommen. Raimund
Ostendorp ist sich sicher: "Das ist nicht das Ende hier."